Nach Favoriten – weder Passivität noch Rassismus

 

Drei Tage lang kam es in Favoriten zu Angriffen gegen Linke und kurdische Gruppen. Höhepunkt war der Donnerstagabend, als 300 türkische Nationalisten das EKH attackierten. Dank der schnellen Solidarisierung von Antifaschist_innen konnten weitere Angriffe abgewendet werden.

Doch es besteht Unsicherheit darüber, wie Solidarisierung geäußert werden kann, ohne gleichzeitig antitürkischen Rassismus zu bedienen.

1) Versammlungsfreiheit und Redefreiheit verteidigen – Solidarität mit den Kurd_innen.

Wenn eine angemeldete Kundgebung angegriffen wird, ist es keine Frage von türkischem Nationalismus gegen kurdische Gruppen, sondern die Verteidigung von Versammlungsfreiheit und freier Meinungsäußerung.  Das ist unabhängig davon, wie man sich zum kurdischen Befreiungskampf positioniert.
Menschen wurden aufgrund ihrer Herkunft angegriffen, denn die Angriffe richteten sich in erster Linie gegen Kurd_innen und kurdische Gruppen. Da kann es kein Zögern geben, auch vonseiten der SPÖ, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlicher Akteur_innen. Dieses Zögern hat viele davon abgehalten, sich an den Demonstrationen zu beteiligen oder ihre Solidarität zu bekunden.

2) Weg mit dem Verbot kurdischer Gruppen

Grundlage für die Attacken ist das Argument, es handele sich bei den kurdischen Organisationen um verbotene terroristische oder zumindest mit der verbotenen PKK sympathisierende Gruppen. Das Verbot der PKK in Österreich und der EU ist jedoch in erster Linie ein Zugeständnis an die Türkei. Militärisch (NATO) geopolitisch (Flüchtlingsdeal) und ökonomisch (Top 20- Abnehmer für Exporte aus Österreich) ist die Türkei ein wichtiger Partner der EU.

Das Verbot der PKK hilft darüber hinaus, politische Aktionen kurdischer Gruppen nach Gutdünken zu delegitimieren, in dem man ihnen Nähe zur PKK unterstellt. Das spielt der herrschenden Politik in die Hände, da es in weiterer Folge verhindert, dass sich kurdische und türkische Gruppen gemeinsam an Protesten gegen Rassismus und Sozialabbau beteiligen.

Für die Linke heißt es deshalb, die Aufhebung des Verbots der PKK zu fordern und gegen jegliche Einschränkungen kurdischer Gruppen aufzutreten.

3) Rassismus als Nährboden für türkischen Nationalismus

Der Aufstieg des türkischen Nationalismus in Österreich hat viel weniger mit den Interventionen des türkischen Staates und Erdogan zu tun, wie es konservative Medien und die Regierung in den letzten Tagen wiederholten. Wichtigste Grundlage ist und bleibt der Rassismus gegen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Vor allem der antimuslimische Rassismus erleichtert türkisch-nationalistischen Gruppen, sich zu verankern. Erdogan hat in den letzten Jahren regelmäßig die rassistischen Kampagnen und den institutionellen Rassismus wie das Kopftuchverbot propagandistisch aufgegriffen, sodass viele Muslim_innen in Erdogan einen Fürsprecher und Unterstützer sehen.

Nur so lässt sich erklären, warum Jugendliche, die hier geboren und aufgewachsen sind, sich eine türkisch-nationalistische Identität aneignen. Verstärkend hinzu kommt, dass sich viele von der politischen Linken im Stich gelassen fühlen. Die jahrelangen rassistischen Kampagnen gegen Muslime blieben großteils unbeantwortet. SPÖ, Grüne und die außerparlamentarische Linke glänzten mit Passivität im Umgang mit antimuslimischem Rassismus. Höhepunkt war eine vor allem von muslimischen Frauen organisierte Demonstration gegen das Kopftuchverbot im Februar 2017 – an der 4000 Menschen teilnahmen – die Beteiligung der nichtmuslimischen Linken war mehr als dürftig.

4) Mehr als Solidaritätsbekundungen

Als Linke dürfen wir nicht bei Solidaritätsbekundungen mit der kurdischen Befreiungsbewegung stehenbleiben. Solidarität bedeutet auch, eine eigenständige kritische Positionierung zu entwickeln, die vor allem die eigenen Herrschenden in den Fokus nimmt. Nur so kann die passive Haltung im Umgang mit der kurdischen Befreiungsbewegung überwunden werden.

Die EU zählte 2015 zum zweitgrößten Waffenlieferant der Welt. 40 % gingen in den Nahen Osten und lieferten damit die Waffen für die blutigen Kriege der letzten Jahre. Deutschland, Spanien und Italien zählten in den letzten 10 Jahren zu drei der fünf wichtigsten Waffenlieferanten in die Türkei. Insofern ist die humanistische Kritik an der Türkei reine Augenauswischerei. Dass es in den letzten Jahren verstärkt zu kritischen Äußerungen der EU Richtung Türkei gekommen ist, lag in erster Linie an der stärker werdenden geopolitischen Eigenständigkeit der Türkei, die sich mit den Interessen der EU spießt.

Ökonomisch zählt die Türkei zu einem wichtigen Partner der EU. Von 2002 bis 2015 war das österreichische Kapital nach den Niederlanden einer der Hauptinvestoren in der Türkei.

Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei hat schlussendlich zu einem diplomatischen Freibrief geführt, mit dem die Türkei die Angriffe gegen kurdische Gebiete ohne größere Konsequenzen durchführen konnte.

5) Fazit

Auch wenn sich die Situation in den letzten Tagen beruhigt hat, brauchen wir als Linke eine nachhaltige Strategie die sowohl eine klare solidarische Haltung mit Kurd_innen und als auch eine antirassistische Alternative zu türkischen Nationalismus beinhaltet. Dass auch der Bürgermeister Ludwig den Abschiebungen von Gewalttätern etwas abgewinnen kann, ist genau das falsche Signal.

Favoriten zählt als einer der ärmsten Bezirke mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Hinzu kommt der Rassismus, wo oft ein vermeintlich türkischer Name reicht, um keine Lehrstelle oder Wohnung zu bekommen. Als Linke müssen wir als greifbarer Bündnispartner gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeit wahrgenommen werden. Damit werden wir zwar vorerst die Kurdenfrage noch nicht gewinnen, aber es schafft uns einen Zugang, um genau diese Diskussionen weiterführen zu können.

Das Zurückdrängen von türkischen Nationalismus und den Grauen Wölfen kann nur mit einer aktiven Einbindung der Mehrheit türkischer Migrant_innen funktionieren. Und nicht ohne sie!

 

 

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