Ibiza-Affäre öffnet ein Fenster – sorgen wir für ein Angebot

Rücktritt – Neuwahlen – Party!

Was vorher die BVT-Affäre, die Nähe zu Identitären, das Rattengedicht und „Einzelfälle“ nicht geschafft haben, das schafft der Auftritt von Strache und Gudenus, in dem sie die Kronenzeitung zur Feindin der FPÖ machen und Österreich als Investitionsobjekt anbieten. Das ging Sebastian Kurz doch zu weit. Mit Rassismus, Demokratiefeindlichkeit und Faschismus gibt es kein Problem, aber wenn die FPÖ Skandale in diesem Ausmaß verursacht, dann kann es keine Zusammenarbeit geben.

Die Koalition wurde nicht durch die Opposition und auch nicht durch eine Bewegung gestürzt und trotzdem hat erst der Rücktritt Straches und dann die Ankündigung von Neuwahlen ein Aufatmen, eine Erleichterung und auch etwas Euphorie ausgelöst bei denjenigen, die durch die Politik der schwarzblauen Regierung angegriffen werden (Flüchtlinge, Muslime, Türk*innen, Frauen, Menschen mit geringem Einkommen) als auch bei denjenigen, die sich mit Engagement gegen die Regierungspolitik stellen. Der 18.Mai war ein Tag zum Feiern – die Menschen am Ballhausplatz taten dies sehr ausgiebig. Auch nach der Ankündigung von Neuwahlen blieben Tausende und skandierten „Nie mehr – nie mehr FPÖ!“; „Kurz muss weg“; „Immer wieder Ibiza“. Die Innenstadt wurde zur Partymeile – man grüßte sich mit „Einen schönen Happy-Strache-ist-weg-Day“.

Strache weg, Kickl weg, FPÖ ist raus aus der Regierung, Neuwahlen sind angesagt – was wird das ändern? Schaut man sich die SPÖ als stärkste Oppositionspartei an, dann gibt deren Parteispitze keinen Anlass zu Optimismus. Zögerlich bei der Forderung nach Neuwahlen, zögerlich beim Mißtrauensantrag gegen Kurz, zögerlich bei der Auflösung der SPÖ/FPÖ-Landeskoalition im Burgenland – der Mißtrauensantrag gegen den FPÖ-Landeshauptmannstellvertreter Tschürtz wurde sogar mit den Stimmen der SPÖ abgelehnt. Staatstragend und Stabilität fordernd überzeugt sie nicht, weder an der Stimmung anknüpfen noch etwas an der Politik ändern zu können. Stellt sich wieder einmal die Frage nach einer Alternative abseits der SPÖ – aber vorher wollen wir noch einmal ein Blick auf das Geschehen bisher werfen und Schlüsse daraus ziehen.

Die FPÖ – geordneter Rückzug

Wird die FPÖ durch diese Situation wesentlich geschwächt? Nein. Die FPÖ hat klargemacht, dass sie ohne Kickl nicht mitregieren möchte. Das liegt einerseits an der Person – Kickl ist das ideologische Rückgrat der FPÖ – als auch an der Machtposition des Innenministers. Ohne diese Position und ohne Kickl bringt eine Regierungsbeteiligung keinen Nutzen.

Der Rücktritt von Strache und Neuwahlen sind erst einmal ein herber Rückschlag für das Projekt, Machtpositionen in der Regierung auszubauen. Kickl muss gehen. Mit ihm muss der durch die BVT-Affäre belastete Goldgruber gehen, den er noch am Tag der Video-Veröffentlichung zum Generaldirektor für öffentliche Sicherheit machen wollte – ein kündigungssicheres Amt im Innenministerium. Der Bundespräsident verweigerte jedoch die Zustimmung. Und es gibt noch weitere strittige Posten: Die gewünschte Position als Kulturbeirat in Oberösterreich bekommt der Künstler Manfred Wiesinger nicht. Sich selbst nennt er „Odin“, ist bekennender Burschenschafter, Lieblingskünstler von Hofer, bekannt geworden durch Ansagen gegen Journalistinnen und Künstler*innen (siehe letztes Interview). Seine Bestellung scheiterte am ÖVP-Landeshauptmann. An den FPÖ-Klubchef in Wien Mahdalik werden Rücktrittsforderungen gestellt, da Verbindungen zur Ibiza-Affäre vermutet werden. Der oberösterreichische Landrat Podgorschek ist schon zurückgetreten.
Hofer und Kickl lassen jedoch vor allem die Erfolge der vergangenen Regierungszeit hochleben: Steigende Abschiebezahlen, geringere „illegale“ Migration, Ausweitung des Kopftuchverbotes, höhere Sicherheit. Kurz argumentiert übrigens genauso. Damit reden sie über genau die Themen, die ihnen in der Vergangenheit Zustimmung gebracht haben und die von der parlamentarischen Opposition überwiegend widerspruchlos hingenommen wurden. Die Selbstsicherheit ist nicht gespielt, mit der Strache seine Rücktrittsrede begann. Schuldzuweisung an die Illegalität und an der FPÖ feindlich gegenüberstehende Mächte finden viel Zustimmung bei FPÖ-Anhänger*innen: „Das Gerücht lag schon länger in der Luft, dass über das Ausland wahlbeeinflussendes Dirty Campaigning oder geheimdienstlich gesteuerte Aktionen zu befürchten sind.“

Natürlich führt das plötzliche Ende der Regierungsbeteiligung der FPÖ zu Konflikten innerhalb der Partei. Sichtbar vor allem in den unterschiedlichen Meinungen zu einem Mißtrauensantrag gegen Sebastian Kurz. Während Hofer offensichtlich auf eine Weiterführung der Koalition setzt, in dem er Kurz und die ÖVP nur wenig kritisiert, wollen andere mit der ÖVP abrechnen und würden einen Mißtrauensantrag sicher oder vielleicht unterstützen. Auch zu Strache gibt es verschiedene Meinungen – laut Oberösterreichs FPÖ-Chef Haimbuchner (ist eher der nationalliberalen Seite zuzuordnen) darf Strache nie wieder eine Funktion bekommen. In der Wiener FPÖ dagegen hofft man auf ein mögliches Comeback; vielleicht sogar schon zu den Wienwahlen 2020. Ein Machtwechsel oder gar eine Krise in der FPÖ wie 2002 in Knittelfeld ist nicht in Sicht – die Reihen in der FPÖ und ihrer Anhänger sind dabei, sich wieder zu schließen. Einen guten Wahlkampf der FPÖ zu verhindern ist deshalb eine vordringliche Aufgabe der außerparlamentarischen Opposition.
Einige Inhalte im Video beweisen, dass es sich nicht um einen Ausrutscher von Strache handelt, sondern Einblick in die Projekte der FPÖ gibt:

– Alles, was mit Medien und Journalismus zu tun hat, soll unter Kontrolle gebracht werden. FPÖ-Landesrat Podgorschek musste zurücktreten; weil er ähnlich argumentiert und in einem Vortrag bei der AfD von einer notwendigen Neutralisierung des ORF gesprochen hat.

– „Der Crash kommt…“ sagt Strache und meint eine drohende Wirtschaftskrise. Der FPÖ ist klar, dass sie große Chancen hat, eine ökonomische Krise für sich zu nutzen.

– Islamisierung Österreichs soll verhindert werden und hinter (dem Projekt FPÖ) stehen Leute, die genau das verhindern wollen.

– eine intensivere Zusammenarbeit mit Osteuropa ist ebenfalls ein kontinuierliches Projekt der FPÖ.

Warum jetzt?

Der Skandal um das Verhältnis der FPÖ zu den Identitären hat nicht gereicht, um die Koalition aufzulösen. Aber hier ist das erste Mal das Image einer nicht-streitenden schwarzblauen Koalition gebröckelt. Der Druck durch die Recherchen und Veröffentlichungen über die faschistische Ideologie der Identitären und über die Verbindungen zur FPÖ durch Mietverträge, Spendenlisten usw. war enorm. Seitenlange Berichte in allen Tageszeitungen brachten die Informationen an die breite Öffentlichkeit. Es war die Gelegenheit für Kurz, die FPÖ mit Distanzierungsforderungen zu attackieren. Es ist einfach, den Identitären neurechte Gedanken und Taten vorzuwerfen – vor allem die Verbindung zum Attentäter von Christchurch – und die FPÖ damit in Bedrängnis zu bringen. Die Distanzierung der FPÖ – vor allem durch Strache – hat vielen Fans von FPÖ und Identitären sehr weh getan. Die folgenden, recht schnellen Distanzierungen von Strache zum „Rattengedicht“ brachte noch mehr Unruhe in die FPÖ und Kritik an Strache. Der beeilte sich, in einem Interview vom „Bevölkerungsaustausch“ als einen „Begriff der Realität“ zu sprechen und damit Ideologiefestigkeit zu beweisen. Die Empörung über all diese Geschichten war ebenfalls hoch, aber außerparlamentarischer Druck kam nicht zustande und das Fortführen der Regierungszusammenarbeit war für die FPÖ weiter möglich.

Das Besondere am Ibiza-Video ist, dass es nichts enthält, was den bisherigen „Einzelfällen“ der FPÖ entspricht. Stattdessen werden die Projekte der FPÖ gezeigt, die sich gegen die Machteliten in Österreich wenden: Gegen die „Krone“ – wichtigstes und meistgelesenes Meinungsmacherinstrument; gegen die Firma Strabag als eine Hauptauftragnehmerin der Republik Österreich; gegen den Industriellen Haselsteiner als quasi Haupteigentümer der Strabag und auch noch erklärter Gegner der FPÖ. Darüber hinaus beweist die Bereitschaft von Strache und Gudenus, mittels ausländischen Kapitals in Österreich an die Macht zu kommen, eine Unkontrollierbarkeit der FPÖ. Dazu passt auch die Gründung von mindestens zwei Vereinen, an die Unternehmerspenden fließen können, ohne dass sie als Parteispende deklariert werden müßten. Da wurde es notwendig und möglich für Kurz, die FPÖ im Namen von Rechtstaatlichkeit und Antikorruption unter Druck zu setzen. Dabei haben Strache und Gudenus auch nichts anderes gemacht als die ÖVP – Beispiel Kronenzeitung – nur haben sie statt im Anzug im T´Shirt agiert und in dem Interesse, der FPÖ mit ihren Verbindungen zu neurechten Ideologien zu mehr Macht zu verhelfen, statt im Interesse der alteingesessenen Machteliten.

Auch außerparlamentarischer Druck machte sich bemerkbar – die noch am gleichen Abend angekündigte Kundgebung von SPÖ-Jugendorganisationen war ein voller Erfolg! Die Zusammensetzung der Redner*innen repräsentierten alle Facetten des Widerstandes – es sprachen neben SPÖ-Organisationen auch Organisator*innen der bisherigen Proteste: Donnerstagsdemo, PlattformFürEineMenschlicheAsylpolitik, OmasGegenRechts und OffensiveGegenRechts. Tausende Teilnehmer*innen boten ein überzeugendes Bild, was möglich ist, wenn man für eine fokussierte Forderung zusammenkommt – diese musste im Laufe des Tages ständig aktualisiert werden: Von „Strache muss weg!“ über „Neuwahlen jetzt“ zu „Kurz muss weg“. Die Donnerstagsdemo machte diese Forderung zum Schwerpunkt für ihre nächste Demo.

Für Kurz war und ist es eine Herausforderung, aus der bewiesenen Illoyalität von Strache möglichst viel für sich herauszuholen – das ging nur über den Weg von Neuwahlen. Wenn er weiter geschickt vorgeht, braucht sich Kurz keine Sorgen zu machen. Die Zustimmung zur ÖVP steigt und steigt.

Auch die FPÖ ist nicht so schwach, wie es auf den ersten Blick aussieht – mit dem geschlossenen Auftritt bei Straches Rücktritt-Pressekonferenz zeigten Hofer, Kickl und co. all ihren Anhängern Rückgrat. Und so arg ist der Verlust von 5% Zustimmung nach einem solchen widerlichen Video auch nicht; es bleiben immerhin 18%, die den Kurs der FPÖ richtig finden und die verschwörungstheoretischen und antisemitischen Schuldzuweisungen als Verrat an ihren „Helden“ sehen.

Opposition muss sichtbar sein – in Protesten und am Wahlzettel

Nach dem Sturz von Strache und dem Ende der FPÖ-Regierungsbeteiligung hoffen viele, dass Kurz der nächste ist, der gestürzt wird. Eine Opposition muss daran anknüpfen mit einer Kampfansage gegen Kurz, der verantwortlich ist dafür, dass die FPÖ in die Regierung kommen konnte und damit der Neofaschismus weiter normalisiert wurde; der verantwortlich ist für die Umsetzung unzähliger neoliberaler Projekte wie dem 12h-Arbeits-Tag, der Abschaffung der Mindestsicherung, Zerschlagung der Krankenkassen sowie verantwortlich ist für Angriffe auf Frauenrechte, Flüchtlinge und Muslime. Ebenso ist ein Fenster offen, die FPÖ nachhaltig zu schwächen. Das bedeutet eine Forderung nach sofortigem Ende aller Koalitionen mit der FPÖ in Landtagen und Gemeinden.

Bis zur Kundgebung am Ballhausplatz konnte die Mehrheit der Regierungsgegner*innen nur passiv zuschauen, wenn die Medien die FPÖ bloßstellten. Es gibt auch Proteste – seit Monaten demonstrieren jeden Donnerstag in verschiedenen Städten Hunderte bis Tausende gegen die Regierung; immer wieder werden antirassistische Proteste organisiert. Diese Proteste allein können nicht genug Druck erzeugen – es fehlt ein politischer Ausdruck, ein Organisierungsprojekt, das sich ausgehend von diesen Protesten aufbaut. Gemeinsam mit KPÖ und / oder Jungen Linken kann eine Opposition entstehen, die sowohl am Wahlzettel als auch auf den Protesten sichtbar ist als treibende Kraft gegen all das, was uns schwarzblau zugemutet hat.

Darüberhinaus besteht die Herausforderung, ein ehrliches Verhältnis zu denjenigen aufzubauen, die als Arbeiter*innen nicht die moralische oder aktionistische, sondern vor allem ökonomische Druckmittel in der Hand haben und mangels Alternative weiterhin loyal zur SPÖ stehen. Die Demonstration gegen den 12h-Tag Ende Juni 2018 hat kurz aufgezeigt, welche Power in ihnen steckt – aber niemand war in der Lage, den Konflikt zuzuspitzen und die Gewerkschaftsführung in den Kampf zu zwingen. Das muss ein längerfristiges Ziel eines Organisierungsprojektes sein.

Auf dem Weg dahin muss es in den nächsten Monaten heißen:
– Kurz muss weg!
– Keine Zusammenarbeit mit der FPÖ – Auflösung aller Koalitionen und Arbeitsabkommen!

Über diese Forderungen können diejenigen zusammenkommen, die die Chance nutzen wollen, jetzt die Stimmung von der Kundgebung vom Samstag mitzunehmen und in die politische Entwicklung einzugreifen.

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